Der Mythos vom sauberen Erdgas
2021, im Jahr vor Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, entfielen 27 Prozent der gesamten Energieerzeugung in Deutschland auf Erdgas und machten es damit nach Mineralöl zum zweitwichtigsten Energieträger im Land. Die erneuerbaren Energien erreichten nur 16 Prozent. Das belegt anschaulich, wie wenig die Politik in den letzten Jahrzehnten für den Ausbau der Erneuerbaren und die Abkehr von fossilen Energieträgern getan hat.
Doch wie konnte es so weit kommen? Weil es den Gaskonzernen mit ihrem Lobbying gelungen ist, Erdgas als vermeintlich „saubere Brückentechnologie“ zu inszenieren und weil viele Politikerinnen und Politiker damit überzeugen konnten. Mehr noch: Es wurde sogar zusätzlich in Erdgas investiert, anstatt die Energiewende konsequent anzugehen. Der trotz aller Widerstände realisierte Bau der Pipeline Nord Stream 2 ist das beste Beispiel dafür.
Hinter dem erfolgreichen Lobbying der letzten 10 bis 15 Jahre steht vor allem eine Organisation: der Lobbyverband „Zukunft Gas“, wie die LobbyControl-Studie „Pipelines in die Politik – Die Macht der Gaslobby“ nachzeichnet. Im Jahr 2013 zunächst als „Zukunft Erdgas“ gegründet, besteht dessen Hauptaufgabe darin, Gas als zukunftsfähigen Energieträger zu vermarkten. Zum Beispiel mithilfe einer Kampagne zu den Klimazielen 2020, die Gas als „Partner der Energiewende“ positionierte und die Botschaft aussandte, dass die Klimaziele ohne Gas nicht zu erreichen seien. Ein Konzept, das aufging: So bescheinigte der Deutsche Verband des Gas- und Wasserfaches (DVGW) der sogenannten „Innovationsoffensive“ später, dass „Gas deutlich positiver wahrgenommen“ werde.
Der eigentliche Coup: Der Gas-Lobby gelang es, einen fossilen Energieträger als probates Mittel im Kampf gegen den Klimawandel zu positionieren. Dazu hat sie sich einige interessante, wenn auch irreführende Erzählungen einfallen lassen und mithilfe professioneller PR-Arbeit öffentlichkeitswirksam platziert, wie die LobbyControl-Studie eindrucksvoll darstellt:
Der Mythos, dass Gas sauberer sei als Kohle und Öl. Richtig ist: Bei der Verbrennung von Gas wird weniger CO₂ freigesetzt als bei der Verbrennung von Kohle und Öl. Das bedeutet jedoch nicht, dass Gas weniger klimaschädlich ist. Denn der Treibhauseffekt von Methan – dem Gas, aus dem Erdgas hauptsächlich besteht – ist beachtlich. Hinzu kommt, dass Methan nicht nur bei der Verbrennung von Erdgas freigesetzt wird, sondern entlang der kompletten Lieferkette. Einige Studien gehen sogar davon aus, dass Erdgas klimaschädlicher als Kohle ist.
Die Schlussfolgerung, eine "weniger klimaschädliche" Energiequelle eigne sich hervorragend als "Brückentechnologie" oder "Übergangstechnologie". Diese Begriffe suggerieren, dass die Energiewende noch Zeit habe, was jedoch keineswegs der Fall ist.
Der neueste Clou: die Einführung der Begriffe „neue Gase“ oder „erneuerbare Gase“. Gemeint sind Gase wie Wasserstoff oder Biomethan, die klimafreundlich sein sollen. Das stimmt jedoch so pauschal nicht. Denn auch „neue Gase“ haben negative Klimaeffekte: So wird zum Beispiel beim „blauen Wasserstoff“ das CO₂ abgeschieden und unterirdisch gespeichert (Carbon Capture and Storage, CCS) – eine Methode, die sehr energieintensiv und ökologisch umstritten ist.
Wie auch immer man es am Ende nennt, verpackt oder dekoriert: Gas hat keine Zukunft. Da hilft auch die härteste Lobbyarbeit nichts. Die Politik muss einen konsequenten Ausstieg von der Versorgung mit fossilen Energieträgern finden, und sich mit voller Kraft auf den Ausbau der Erneuerbaren konzentrieren.